Monsieur Becker

Panorama

Neo-Institutionalismus

Montag, 24. Januar 2011

Dies ist ein Beitrag des Blogthemas »Bildungsdynamik der modernen Welt«.

Das Memorandum von David Murray stellt historische Aussagezusammenhänge dar und bewegt sich dabei auf der Ebene der Beobachtung. Davon abzugrenzen ist die wissenschaft­liche Erforschung moderner Bildungsinhalte und der Wege ihrer Verbreitung. Genau damit beschäftigt sich die Theorie des Neo-Institutionalismus.

Mit Neo-Institutionalismus bezeichnet man eine sozialwissenschaftliche Theorie über die trans­nationalen Zusammenhänge, in unserem Fall innerhalb der Bildungsprogrammatik. Sie beschäftigt sich mit deren Entstehungsgeschichte, Charakteristik, Verbreitung und Geltungsprinzipien.

Elemente zur Erklärung

Zur Erklärung der Theorie bedient man sich dreier Elemente: accounts, rules und ideologies.

Die Weltbildungsprogrammatik wird in ihren Inhalten und Verbreitungsmechanismen (und Trägern, allen voran Experen) durch hypothetische accounts, allgemeine rules und ideologies bestimmt. Also durch angenommene Kausalzusammenhänge, allgemeine Leitprinzipien und Handlungs­program­me, die der Verwirklichung der Leitprinzipien unter Berücksichtigung der Kausalzusammenhänge dienen.

Kernbegriffe des Neo-Institutionalismus

Kernbegriffe des Neo-Institutionalismus sind Institution, Akteure und Weltkultur.

Unter Institutionen werden in diesem Zusammenhang nicht Einrichtungen verstanden, sondern überindividuell geltende, weit verbreitete und verfestigte gesellschaftliche Erwartungsstrukturen. Bei diesem Satz an Verhaltensregeln und sozialen Rollen handelt es sich um überhaupt nicht mehr hinterfragtes Wissen, dessen Gültigkeit unterstellt wurde.

Die Entstehung einer spezifischen Institution fand über einen sehr langen Zeitraum statt, sie ist bereits über Generationen tradiert. Die Ebene, auf der die Institutionen verankert sind, kann nicht mehr individuell rekonstruiert (in diesem Sinne: nachvollzogen) werden, es handelt sich dabei um gesellschaftlich vorgegebene Konstruktionen.

Die Institutionen lenken unser Handeln: Einerseits schränken sie individuelles und kollektives Handeln ein, andererseits ermöglichen sie es erst. Diese Verhaltensweisen werden in einem sozialen Zusammenhang durch Beobachtung anderer, die miteinander kommunizieren, eingeübt.

Der Vorteil von Institutionen ist, dass sie Reaktionen erwartbar machen, da sie auf bestimmten Regeln basieren. Ungeachtet der Vielfalt, der verschiedenen Gesellschaften und Staaten gibt es einen Grundbestand an Institutionen, durch die eine Weltkultur entsteht.

Für die Vermittlung von Institutionen sind Erziehung und Bildung essenziell.

Legitime Akteure im Neo-Institutionalismus sind Staaten, Organisationen und Individuen. Früher waren Zünfte, Landschaftsverbände und Clans wichtige Akteure, doch infolge der Individu­ali­sierung unserer Gesellschaft sind diese illegitim geworden, sie sind veraltet.

Die Akteure konstitutieren sich nicht selbst, sondern sie werden durch den geltenden Satz an Erwartungsregeln konstitutiert. Sie verhalten sich dabei wie nach einem »Drehbuch«, das auf den Erwartungshaltungen einer sich verbreitenden Weltkultur besteht.

Ein Beispiel: Die moderne Staatlichkeit ist ohne Verfassung, Ministerien und die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen nicht denkbar. Der Akteur Staat wird dadurch konstituiert, dass er sich an die Erwartungsregeln moderner Staatlichkeit hält. Junge Staaten, die ihre Staatlichkeit beweisen müssen, unterliegen daher einem Selbstzwang zur Inszenierung. Sie inszenieren ihre Staatlichkeit, um sich als Staat zu beweisen.

Der dritte Kernbegriffe ist der der Weltkultur. Damit wird eine umfassende kulturelle Ordnung bezeichnet, die ihre Ursprünge in westlichen Gesellschaften hat. Diese Ordnung setzt auf Rationa­li­sierung und ist daher gekennzeichnet durch Aufklärung, Entzauberung der Welt (Forschung beseitigt Mythen), immer laufende analytische Zergliederung (immer feinere Regeln) sowie immer laufende Zweck-Mittel-Optimierung. Das Entstehen der Weltkultur ist grundsätzlich positiv konnotiert.

Kultur allgemein bezeichnet überindividuell geteilte Lebensentwürfe. Das heißt, dass Kultur nicht das Verhalten der Individuen bezeichnet, sondern die mit anderen geteilten Modelle, die man im Hinterkopf trägt, in deren Rahmen man soziale Wirklichkeit wahrnimmt, interpretiert und handelt. Kultur ist ein Set von institutionalisierten Regeln (im Sinne des oben entwickelten Institutionen-Begriffs).

Die Weltkultur ist

Die Weltkultur ist also eine Entität (übergreifende Gesamtheit), ein aktives Ganzes, das die Unter­einheiten (die Akteure: Staaten, Organisationen, Individuen) überwölbt.

Ausblick

Gegenstand kommender Blogbeiträge wird sein, welche Ursprünge sowie Formen und Träger der weltweiten Ausbreitung die transnationale Bildungs- und Entwicklungsprogrammatik hat.