Der Fall »Bologna«
Dies ist ein Beitrag des Blogthemas »Bildungsdynamik der modernen Welt«.
Im letzten Beitrag wurden die »World Cultural Blueprints of Development« vorgestellt. Als Blaupause lässt sich dieses Schema auch auf den Bologna-Prozess übertragen, wie im folgenden aufgezeigt werden soll.
Der Anstoß für den Bologna-Prozess geht auf die Bildungsminister Claude Allègre (Frankreich), Luigi Berlinguer (Italien) und Jürgen Rüttgers (Deutschland) zurück, die sich von der »G8 of research«, ein informelles Netzwerk der Carnegie Corporation, kannten. Sie nahmen aus diplomatischen Gründen noch die britische Staatsministerin für Hochschule Tessa Blackstone hinzu.
Alle vier Minister veröffentlichten im Mai 1998 im Rahmen der 800-Jahr-Feier der Pariser Universität die Sorbonne-Deklaration: eine Erklärung über die Harmonisierung der Architektur des europäischen Hochschulsystems. Ihr Ziel war es, teils massive nationale Probleme in den Hochschulen zu lösen. So gibt es in Frankreich eine Zweiteilung des Hochschulwesens in schlecht ausgestattete Massenuniversitäten und die elitären Grandes Écoles, die wiederum keine internationale Strahlkraft haben. In Italien hingegen hat die Studienabbrecherquote ein so großes Ausmaß erreicht, dass man schon von mortalità universitaria sprach. Die Lösung dieser Probleme stieß hingegen auf Widerstände, zu deren Bewältigung die Bildungsminister Europa und die damit verbundene Fortschrittsidee zur Legitimationsinstanz machten.
Es wurde ein Memorandum erarbeitet: »Für ein europäisches Hochschulmodell«. Darin verständigte man sich auf ein imaginäres angelsächsisches Modell (3 Jahre Bachelor, 2 Jahre Master, 3 Jahre Promotion). Die Unterschiede zwischen den Hochschulsystemen sollten ausgeglichen werden. Ein gemeinsames System von Abschlüssen solle die Institutionen erst zur Annäherung bewegen, irgendwann zur Fusion.
All dies mündete 1999 in die Bologna-Deklaration mit dem Ziel der Harmonisierung. Bologna ist demnach keine Neuigkeit, sondern eine Forführung, eine Präzisierung des Bisherigen, ein Schritt zur Institutionalisierung des europäischen Hochschulmodells. Bologna ist eine Beschwörung der Diversität der europäischen Hochschulsysteme einerseits, aber auch eine Forderung nach Qualitätssicherung des europäischen Hochschulsystems andererseits.
Wie aufgezeigt wurde, lassen sozial-kommunikative Prozesse die Programmatik entstehen und sorgen für deren Verbreitung. Sie sind sozial, weil sie von bestimmten Trägern (Organisationen, Experten, soziale Bewegungen, Experten) vorangetrieben werden. Und sie sind kommunikativ, weil sie auf Konferenzen, Kongressen und Publikationen basieren; man spricht auch von einem »Konferenz – Deklaration – Nationaler Plan«-Zyklus.
Durch den Bologna-Prozess entstand eine »European Cultural Blueprint of Higher Education«. Die Umsetzung dieser Blaupause ist eine kontextspezifische Aneignung, das heißt, dass Bologna nicht überall gleich umgesetzt wurde und wird. Es findet eine Rekontextualisierung statt: Die Programmatik tritt in einen bereits existierenden Kontext ein und wird rekontextualisiert, also von dem existierenden Hochschulwesen überformt. Zudem richtet sich die Politik bei der Umsetzung des Bologna-Prozesses nach internen Vorgaben. Beispiele für solche Einflussfaktoren sind unter anderem unterschiedliche Rechts- und Verfassungstraditionen sowie das unterschiedliche Selbstverständnis von Universitäten.