Frauenwunderland Ruanda
Die Gleichstellung der Geschlechter ist das fünfte der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung. In kaum einem anderen Land hat sich die Rolle der Frau so schnell und so stark verändert wie in Ruanda. Anlass hierfür war der Völkermord, dem bis zu eine Millionen Ruander*innen zum Opfer fielen.
Hört man den Namen des Landes, das sich in seinen vier Amtssprachen »Rwanda« schreibt, schwingen unweigerlich Erinnerungen an den Völkermord im Jahre 1994 mit. In nur 100 Tagen starben mindestens 500 000, wahrscheinlich eher 1 000 000 Menschen, vor allem Angehörige der Tutsi-Minderheit und moderate Hutu. Diese beiden »Ethnien« waren einst reine Berufsbeschreibungen: Tutsi waren Viehzüchter, Hutu Ackerbauern. Erst im Rahmen der Kolonialisierung wurde durch die Ausstellung von Ausweispapieren aus dem sozialen Status eine »Rasse«. Durch Privilegierung der Tutsi wurde dem tödlichen Rassismus dann der Weg geebnet.
Vor allem Frauen überlebten den Völkermord, wobei »überleben« die Situation beschönigt. Vielfach wurden sie vergewaltigt, waren verwitwet oder die einzige Überlebene ihrer Familie. Plötzlich waren Frauen, die bisher kaum Rechte genossen, das Familienoberhaupt und mussten allein die Kinder ernähren. Im Nachhinein betrachtet stellt dies für das Land eine große Chance dar, wie Barbara Achermann in ihrem Buch »Frauenwunderland« aufzeigt.
Dieses Buch erzählt die Erfolgsgeschichte eines afrikanischen Landes, in dem 1994 ein Bürgerkrieg zwischen Hutu und Ttsi tobte – eine Erfolgsgeschichte, die Ruandas Frauen schrieben. Es ist nicht lange her, da durften sie weder ein Bankkonto eröffnen noch in der Öffentlichkeit sprechen. Heute sitzen in Ruanda mehr Frauen im Parlament als in jedem anderen Land auf der Welt, und über die Hälfte der Unternehmen sind Frauenhand. Ohne sie wäre das rasante Wirtschaftswachstum Ruandas nicht möglich gewesen.
Die Schweizer Autorin begleitet Frauen, die hinter dieser notgedrungenen Emanzipation im Zeitraffer stehen. Dazu gehören unter anderem:
- die Unternehmerin Epiphanie Mukashyaka, die heute von 10 000 Kleinbauern Kaffee bezieht, weiterverarbeitet und verkauft,
- die »Kräuterhexe« Zula Karuhimbi, die während des Völkermordes viele Menschen vor den Génocidaires (›Völkermördern‹) versteckte,
- die Musikerin Teta Diana, die unter anderem gemeinsam mit dem belgischen-ruandischen Musiker Stromae gearbeitet hat, der seinen Vater ebenfalls beim Völkermord verloren hat und dies in dem Lied Papaoutai verarbeitet hat,
- die Näherin Joselyne Umotoniwase, die jetzt in ihrem Atelier Kleider für die wachsende Mittelschicht produziert, und
- die Unternehmerin Clarisse Iribagiza, die dank der idealen IT-Bedingungen mit der App Safeboda eine Art Uber für Motorradtaxis geschaffen hat.
Dies sind nur fünf der beeindruckenden Ruander*innen, die Achermann zu Wort kommen lässt.
Die Autorin wirft mit ihrem Buch einen anderen Blick auf den afrikanischen Kontinent, der eine immer größere Bedeutung gewinnt und doch nur als Kontinent der Probleme wahrgenommen wird. Ruanda ist einerseits klar von den schrecklichen Ereignissen vor einem Vierteljahrhundert geprägt. Andererseits ist es ein Land mit einer beachtlichen Dynamik, in dem Plastiktüten streng verboten sind, Gleichheit von Mann und Frau fast selbstverständlich ist, die Bekämpfung der Armut entschieden vorangetrieben wird und das in Sachen Zugang zum Internet das ein odere andere Industrieland alt aussehen lässt.
Gleichzeitig zeigt Achermann aber auch den Preis auf: Seit dem Jahr 2000 herrscht Paul Kagame. Der Politiker setzt sich für Frauen ein, arbeitet viel, schlafe sehr wenig, und packt bei Umugunda, der allmonatlichen gemeinschaftlichen und gemeinnützigen Arbeit, mit an. Für die Entwicklung des Landes wird ihm viel Bewunderung entgegengebracht, Kritiker*innen und Gegenkandidat*innen leben jedoch gefährlich. Es ist nicht unüblich, dass sie oder Angehörige spurlos verschwinden oder aus fadenscheinigen Gründen inhaftiert werden.
Ein besonderes Kapitel ist das fünfte: Jane vergibt Jane. Zuerst berichtet es vom Überleben Alphonsos. »Ich denke, es ist nicht einfach für dich zu verstehen, was ich erlebt habe.«, sagt er der Autorin. Und tatsächlich bleibt man nach der Schilderung der entsetzlichen Ereignisse sprach- und fassungslos zurück. Sodann berichtet Achermann von zwei Frauen, die beide Jane heißen und als junge Mädchen unzertrennlich waren. Jedoch war eine Hutu, die andere Tutsi, der Genozid entzweite die Familie und die Freundinnen. Wie schwierig später das Vergessen und Vergeben ist, wie viel Hoffnung es jedoch für die Zukunft von einzelnen Menschen, Familien und das ganze Land insgesamt bedeutet, zeigt sich eindrucksvoll an diesen beiden Frauen.
Achermann, Barbara (2018): Frauenwunderland – die Erfolgsgeschichte von Ruanda. Reclam: Stuttgart. ISBN: 978-3-15-011128-4. Preis: 18,95 €.