Was ist eine gute Leistung?
Das Verständnis darüber, was eine gute Leistung ist, ist von Lehrperson zu Lehrperson verschieden. Entsprechend variiert auch, wie Leistung gemessen wird.
In seinem Newsletter vom 30.10.2022 zeigt Philippe Wampfler anhand eines fiktiven Gespräches unter Lehrpersonen unterschiedliche Perspektiven auf das Themenfeld Beurteilung auf.
Ich möchte in diesem Beitrag eine Perspektive ergänzen, die der französischen Sprachprüfung DELF.
Was ist DELF?
DELF, kurz für „Diplôme d’Études en langue française“, ist ein Zertifikat des französischen Staates, das Französischlerner:innen auf verschiedenen Niveaustufen (A1.1, A1, A2, B1 und B2) ablegen können.
In der Prüfung werden vier Kompetenzbereiche (Hören, Lesen, Schreiben und Sprechen) getestet, in jedem kann man 25 Punkte erhalten. Um DELF zu bestehen, muss man mindestens 50 Punkte schaffen, in keinem Bereich weniger als 5 Punkte. Nicht so gute Leistungen beispielsweise beim Hören kann man also mit besseren Leistungen beim Lesen, Sprechen und/oder Schreiben ausgleichen.
Egal ob man am Ende genau 50, 70 oder 100 Punkte erreicht – man besteht DELF nicht gerade so oder mit Auszeichnung, sondern einem wird bei Bestehen der Prüfung das Niveau bescheinigt, für das man sich angemeldet hat. So der Ansatz.
Bewertung des Schreibens
Für den Kompetenzbereich Schreiben stellt sich der Prüfling bei DELF A1 zwei Aufgaben: Einmal das Ausfüllen eines Formulars (10 Punkte) sowie eine offenere Schreibaufgabe (15 Punkte), bei der man ausgehend von einer vorgegebenen Situation eine Nachricht formulieren muss.
Das Formularausfüllen ist als geschlossene Aufgabe recht interpretationsarm in der Bewertung. Ist bei date de naissance etwas wie ein Geburtsdatum angegeben oder nicht?
Für die zweite Aufgabe gibt es ein Kriterienraster mit drei Schreibkompetenzbereichen und insgesamt fünf Kategorien:
- compétence pragmatique (pragmatische Kompetenz)
- réalisation de la tâche (Umsetzung der Aufgabe)
- cohérence et cohésion (Kohärenz und Kohäsion)
- compétence sociolinguistique (soziolinguistische Kompetenz)
- adéquation sociolinguistique (soziolinguistische Angemessenheit)
- compétence linguistique (linguistische Kompetenz)
- lexique (Lexik)
- morphosyntaxe (Morphosyntax)
Jede dieser fünf Kategorien kann mit vier Notenstufen bewertet werden:
- 0 – non répondu ou production insuffisante (nicht geantwortet oder Produktion nicht ausreichend)
- 0,5 – en dessous du niveau ciblé (unterhalb des Zielniveaus)
- 2 – au niveau ciblé – A1 (auf dem Zielniveau – A1)
- 3 – au niveau ciblé – A1+ (auf dem Zielniveau – A1+)
Wer – theoretisch angenommen – exakt das Sprachniveau A1 hat, erhält somit nicht die volle Punktzahl, sondern nur 10 von 15 Punkten (66,6 %). Um jeweils 3 Punkte geschafft zu haben, muss man eigentlich schon besser als A1 sein, nämlich A1+. Das ist eine Art Zwischenniveau zwischen A1 und A2. Bescheinigt wird einem am Ende der DELF-Prüfung A1 aber nur das Niveau A1.
Ist man unter unterhalb des Niveaus A1, erhält man mit einem halben Punkt je Bereich insgesamt 2,5 Punkte bzw. 16,6 % der Punkte des Bereichs Schreiben und ist durchgefallen.
Ähnlich gilt dies für DELF A2. Hat man bei beiden Schreibaufgaben, für die man jeweils 12,5 Punkte erhält, genau das Niveau A2, bekommt man je nur 7,5 Punkte (60 %) zugesprochen. Erreicht man das Zielniveau im Schreiben nicht, erhält man insgesamt 5 Punkte (20 %). Immerhin ist man nicht mehr durch die Prüfung gefallen, mit sehr guten Leistungen in den Bereichen Hören, Lesen und Sprechen könnte man ausgleichen.
Mit einem Niveau B1 werden einem bei DELF B1 ebenfalls nur 15 von 25 Punkten und damit 60 % zuteil.
Beherrscht man genau das Niveau der gewählten Sprachprüfung und schätzt der/die Prüfer:in dies auch so ein, erbringt man also eine gute Leistung, erhält man im Regelfall nur drei Fünftel der Punkte. Dies erscheint mir aus einer vom deutschen Schulsystem geprägten Perspektive hart. An französischen Schulen wird mit einer Skala von 0 bis 20 benotet, dabei hat man mit 10 bestanden, 12–13 seien nicht schlecht, 15 gelte bereits gut und alle Noten darüber hinaus als sehr gut.
Interessant ist, als kurzer Exkurs, wie mit „Anomalien“ umgegangen wird. Schreibt man über ein völlig anderes Thema als das geforderte, kann man bei Umsetzung der Aufgabe sowie Kohärenz und Kohäsion nicht mehr das Plus-Niveau erreichen. Bestenfalls unterhalb des Zielniveaus ist man in diesen beiden Kategorien, wenn man eine andere Textsorte verfasst. Verfehlt man Thema und Textsorte, werden die ersten drei Kategorien mit 0 Punkten bewertet und die anderen beiden können maximal unterhalb des Zielniveaus bewertet werden.
Bewertung des Sprechens
Auch beim Sprechen schafft man es, wenn man das Niveau der Sprachprüfung (A1, A2 bzw. B1) beherrscht, nicht mehr auf die volle Punktzahl, sondern auf nur auf 15,5 von 25 Punkten 62 %.
Fazit
Was sagt das über die Auffassung einer guten Leistung aus? Wenn man in der DELF-Prüfung eine gute, das heißt eine dem Niveau entsprechende Leistung erbringt, erreicht man nur eine dafür erstaunlich geringe Punktezahl.