Monsieur Becker

Französisch & Panorama

zweite Fremdsprache

Donnerstag, 13. Juli 2023

Wie wichtig es heute noch, eine zweite Fremdsprache zu lernen? Sehr, wie ich finde.

Herr Rau denkt in einem Blogbeitrag über die zweite Fremdsprache am Gymnasium nach.

Bevor ich meine Perspektive zur Diskussion beisteuere, ein kurzer Transparenzhinweis: Ich bin Lehrer einer solchen zweiten Fremdsprache. Für Französisch, um genau zu sein.

die 2. Fremdsprache an Berliner Gymnasien

Bei uns an der Schule, einem Berliner Gymnasium, lernen die Schüler:innen nach Englisch alle Französisch als zweite Fremdsprache. Dies ist eine (S 1) von acht möglichen Sprachenfolgen, die die Sek-I-Verordnung (§ 11) vorsieht. An anderen Berliner Schulen gibt anstelle von Französisch Latein (S 2), Russisch (S 3), Spanisch (S 4), Italienisch (S 6), Türkisch (S 7) oder Polnisch (S 8). Möglich ist auch, dass Französisch erste und Englisch zweite Fremdsprache ist (S 5).

Schüler:innen, die aus einer Willkommensklasse in die Regelklasse wechseln, können ihre Muttersprache/n als zweite Fremdsprache anerkennen lassen. Dies ist eine wichtige Möglichkeit, um gerade älteren Schüler:innen den Weg zum Abitur zu öffnen. Jüngere Willkommensschüler:innen belegen auf ihrem Bildungsweg gen Allgemeine Hochschulreife gemeinsam mit ihren Mitschüler:innen dann die klassische zweite Fremdsprache, auch wenn sie mit ihrer bzw. ihren Muttersprache/n, Deutsch als Zweitsprache und Englisch als 1. Fremdsprache schon mehrsprachiger sind.

Über die Situation an anderen Schultypen, in Berlin sind dies die Gemeinschaftsschulen und Integrierte Sekundarschulen, vermag ich nicht qualifiziert zu berichten.

Bildungswert von Fremdsprachen

Das Erlernen von Fremdsprachen in der Schule ist für mich kein Selbstzweck (obgleich ich ein Faible fürs Nachdenken über Sprache habe), ich sehe es aber auch nicht alleinig als wirtschaftlichen Vorteil oder als althergebrachte formale Voraussetzung (oder überflüssige Hürde?) fürs Studium.

Meine Position fußt auf der 2017 veröffentlichten Vision der Europäischen Kommission (Hervorhebung durch mich):

Eine Vision für 2025 wäre ein Europa, in dem Lernen, Studieren und Forschen nicht von Grenzen gehemmt würden. Ein Kontinent, auf dem es zur Norm geworden ist, dass man Zeit – zum Studieren, zum Lernen oder zum Arbeiten – in einem anderen Mitgliedstaat verbringt und auf dem es außerdem gängig ist, dass man neben der Muttersprache zwei weitere Sprachen spricht. Ein Kontinent, auf dem sich die Menschen ihrer Identität als Europäer, des kulturellen Erbes Europas und seiner Vielfalt stark bewusst sind.

Auch das Europäische Parlament fordert in einer Entschließung von 2018 eine Schulbildung, die Europäer:innen in die Lage versetzt, zwei Sprachen zusätzlich zur Muttersprache zu beherrschen. Eine Forderung, die wohl gemerkt nicht für nur für angehende Abiturient:innen, sondern für alle gilt.

Für mich ist das Erlernen von zwei Fremdsprachen in der Schule daher im europäischen Kontext zu betrachten: Es ist ein wichtiger Baustein zur Förderung der Mehrsprachigkeit. Auch wenn die Berliner Schüler:innenschaft in den vergangenen Jahrzehnten sprachlich immer vielfältiger geworden ist, so spricht eine große Mehrheit weiterhin „nur“ Deutsch als Muttersprache. Eine solche Einsprachigkeit ist global betrachtet eher die Ausnahme.

Ich konkretisiere für mich „zwei Sprachen“ zu „zwei europäische Sprachen“, denn die sprachliche und damit einhergehend auch kulturelle Vielfalt Europas ist für mich absolut schützenswert. Nicht, um sich von außereuropäischen Kulturen abzugrenzen oder gar auf sie herabzusehen, sondern um die Vielfalt, in der wir leben, zu feiern und als Wert an sich zu achten. Europäische Fremdsprachen sollen dabei nicht nur die großen und üblichen, also Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch sein, sondern auch die unserer Nachbar:innen. Ich fände es für die Region Berlin-Brandenburg beispielsweise wichtig, den Polnischunterricht auszubauen.

Sprachen zu lernen ist für mich in erster Linie die Befähigung zur Kommunikation mit anderen Menschen: Austausch über Perspektiven, über Werte, über Lieblingsdinge, über Vorurteile und Klischees … Einfach direkte Kommunikation, eben ohne menschliche oder computergestützte Mittler:innen, ohne Hilfsmittel wie mehr oder weniger gutes Englisch, das beide Gesprächspartner:innen nicht als Muttersprache sprechen. Darin liegt aus meiner Sicht der zentrale Mehrwert der ersten und zweiten Fremdsprache.